MORE O(H)R LESS im Kunstverein Baden

Roedelius Cells Cover

„Roedelius Cells“ + Textperformance Michou Friesz

Samstag, 4. Juni 2016, 10.00 Uhr
10.00 – 12.00 und 14.30 - 18.00: Klang Installation „Roedelius Cells“ von Tim Story Music (USA)
22.30: Textperformance Michou Friesz (A) spricht Texte von Joachim Roedelius (A) begleitet von Joachim Roedelius am Klavier

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04.06.2016 - 05.06.2016

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Die Roedelius-Zellen
Eine Klanginstallation
Komponiert von Tim Story
Klavier von Hans-Joachim Roedelius


Klangkünstler haben gesagt "des einen Mannes Lärm ist eines anderen Mannes Musik." Die Roedelius-Zellen imaginieren die Möglichkeit, dass auch eines Mannes Musik im wahrsten Sinne des Wortes „die Musik eines anderen Mannes“ werden könne.
Während der Aufnahme-Sessions für etliche ihrer Kollaborationen in den letzten zehn Jahren haben Tim Story und Hans-Joachim Roedelius oft "das Band laufen lassen“, wodurch viele Stunden Roedelius‘ intuitiver Solo-Piano-Improvisationen erfasst wurden. Als er Jahre später diese ungezwungenen Aufnahmen wiederentdeckte, begann Story sie mehr als "found sounds“ denn als fertige Kompositionen zu behandeln. Durch das Zerschneiden in sehr kleine Zellen und Wiederzusammenfügen des Materials in geschichtete, sich entwickelnde Muster, begann Story, Kompositionen ausschließlich aus den Quellklavieraufnahmen zu erschaffen, die sich jedoch stark von Roedelius‘ Originalen unterschieden. Diese übereinander gelagerten Schichten bestehen jeweils oft aus nur wenigen Sekunden sich wiederholender Klänge - der sechste Satz allein enthält weit über 450 dieser separaten Audio-"Ereignisse" in einer Spielzeit von weniger als 7 Minuten. Das Ergebnis ist ein synkopiertes, schimmerndes Zusammenspiel, welches mehr an den strukturierten Minimalismus eines Steve Reich erinnert als an die expansive Lyrik von Roedelius. Gesprächsfetzen, zufällige und Fremdgeräusche finden ihren Weg in die Zellen und wiederholen sich, erschaffen so eine Art menschlicher Perkussion für einige der Stücke.
Indem er sich auf die Klänge des Klaviers beschränkt - eines der am einfachsten erkennbaren und zugänglichsten Instrumente – hofft Story, den Hörer auf den Prozess selbst zu fokussieren, was eine musikalische und dennoch unbestreitbar verwirrende Perspektive bezüglich der Erwartungshaltung gegenüber „Klaviermusik“ verleiht. Um diesen Prozess zu verdeutlichen und den Akt der "Re-Komposition" auf die Hörer zu auszudehnen, hat Story ein Playback-System integriert, welches die individuellen Zell-Schichten diskret auf 8 Lautsprecher verteilt. Bei ihrer Reise durch den physischen Raum entwickeln sich die Nebeneinanderstellungen der Wechselwirkungen der Zellen in einer einzigartigen und unwiederholbaren Weise und laden im Wesentlichen den Zuhörer ein, Storys Neuinterpretationen neu zu interpretieren.

Künstler-Statement

"Ich war schon immer davon fasziniert, wie wir Menschen ständig Ordnung aus Zufälligkeiten herstellten, ob es sich darum handelt, Bilder in den willkürlichen Risse auf einem Gehweg zu sehen oder „ Kompositionen" in den zufällig überlappenden Klängen des täglichen Lebens zu hören. Die Erschaffung von Musikstücken aus Feldaufnahmen und „found sounds“ist nichts Neues, Komponisten der Musique concrète und Audio-Collage haben dies seit der Einführung der Audio-Aufnahme getan. Was aber, wenn diese "found sounds“ nicht Aufnahmen von zufälligen Ereignissen in der Natur oder in der Industrie wären, sondern Krimskrams, der von den improvisierten Aufnahmen eines anderen stammt? Diese "aus Musik gemachte Musik" hat wenig Ähnlichkeit mit den ursprünglichen Klavierstücken, die Joachim gespielt hat - aber während seine Ausführungen rücksichtslos zerhackt, unterbrochen und neu geordnet wurde, bin ich überrascht, wie viel von der ursprünglichen Lyrik und Zartheit seines Spiels überleben. Das Wort "Zellen" ist bewusst gewählt – es steht in Bezug sowohl zu den Audio-Bausteinen, die in jeder Komposition aufeinander geschichtet sind, als auch zu der organisch-biologischen Bedeutung des Wortes -. Dem sehr persönlichen Ausdruck, der scheinbar mühelos aus der musikalischen DNS meines Freundes Joachim zu fließen scheint. "
(Tim Story, 2016)

Die Künstler

Der Grammy-nominierte US-amerikanische Komponist Tim Story wurde "ein Meister der elektronischen Kammermusik" (CD Review, USA) genannt, und ein "wahrer Künstler des elektronischen Mediums" (Victory Review, USA). Im Laufe von über drei Jahrzehnten einflussreicher Aufnahmen und Live-Performances hat sich um Storys einzigartige Mischung aus akribischer Komposition und wegweisender Sound-Designs eine beträchtliche weltweite Fangemeinde gebildet.
Der in Österreich lebende Komponist Hans-Joachim Roedelius hat mehrere Generationen von Musikern tiefgreifend beeinflusst während seiner inzwischen mehr als einem halben Jahrhundert andauernden Karriere und durch seine über 100 Solo- und kollaborativen Aufnahmen. Von seinem wegweisenden Duo Cluster mit Dieter Moebius, zu seinen genreübergreifenden Solowerken ist Roedelius als einer der wichtigsten Klangpioniere Europas anerkannt. Gleichermaßen vertraut mit der abstraktesten Elektronik und den zartesten Klaviersoli hat Roedelius eine unauslöschliche Wirkung auf elektronische, experimentelle und Ambient-Musik, und darüber hinaus auf völlig undefinierbare Musikgenres gehabt.
Die langjährigen Freunde und Kollegen Roedelius und Story haben bei vielen musikalischen Projekten zusammengearbeitet, darunter die gefeierten Alben Lunz (2003) und Inlandish (2007).

The Roedelius Cells
A sound installation

Composed by Tim Story
Piano by Hans-Joachim Roedelius



It’s been said by sound artists that “one man’s noise is another man’s music.” The Roedelius Cells imagines the possibility that one man’s music might also quite literally become ‘another man’s music.’

During recording sessions over the past decade for several of their collaborations, Tim Story and Hans-Joachim Roedelius often ‘left the tape running,’ capturing many hours of Roedelius’ intuitive solo piano improvisations.  Rediscovering these informal recordings years later, Story began treating them more as ‘found sounds’ than finished compositions.  Cutting apart and recombining very small cells of this material into layered, evolving patterns, Story began creating compositions solely from the source piano recordings, but which stood in stark contrast to Roedelius’ originals.  These superimposed layers each often consist of just a few seconds of repeated sounds – the 6th movement alone contains well over 450 of these separate audio ‘events’ in less than 7 minutes of playing time.  The result is a syncopated, shimmering interplay more reminiscent of Steve Reich’s structured minimalism than Roedelius’ expansive lyricism.  Snippets of conversation, accidental sounds, and extraneous noises find their way into of the cells and repeat, creating a kind of human percussion for some of the pieces.  
Limiting himself to the sounds of the piano - one of the most identifiable and accessible of instruments - Story hopes to focus the listener on the process itself, lending a musical yet undeniably disorienting perspective to the expectations of ‘piano music.’  To expose this process, and extend the act of ‘re-composition’ to the listener herself, Story incorporated a playback system that spreads the individual cell layers discretely amongst 8 speakers. In travelling through the physical space, the juxtapositions of the cells’ interactions evolve in unique and unrepeatable ways, and in essence invites the listener to reinterpret Story’s reinterpretations.


Artist Statement
“I’ve always been fascinated how we humans continually create order out of randomness, whether it’s seeing pictures in the arbitrary cracks on a sidewalk, or hearing ‘compositions’ in the random overlapping sounds of everyday life.  Creating musical pieces from field recordings and ‘found sounds’ is nothing new, composers of musique concrète and audio collage have been doing it since the advent of audio recording.  But what if these ‘found sounds’ were not recordings of random events in nature or industry, but rather bits and pieces culled from someone else’s improvised musical performance?  This ‘music made from music’ bears little resemblance to the original piano pieces that Joachim played – but while his performance has been ruthlessly chopped, interrupted and rearranged, I’m struck by how much of the innate lyricism and delicacy of his playing survive. The word ‘cells’ was chosen deliberately - it refers both to the audio building blocks layered into each composition, as well as to the word’s organic biological meaning - the intensely personal expression that seems to flow effortlessly from my friend Joachim’s musical DNA.”                                     (Tim Story, 2016)



The Artists
Grammy-nominated American composer Tim Story has been called “a master of electronic chamber music” (CD Review, USA), and a “true artist in the electronic medium” (Victory Review, USA).  Through three decades of influential recordings and live performances, Story’s unique blend of meticulous composition and pioneering sound design has garnered a substantial worldwide following.
Austria-based composer Hans-Joachim Roedelius has profoundly influenced several generations of musicians in a career spanning more than a half-century and over 100 solo and collaborative recordings. From his groundbreaking duo Cluster with Dieter Moebius, to his genre-crossing solo works, Roedelius is recognized as one of Europe’s most important sound pioneers.  Equally at ease with the most abstract electronics and the most evanescent of piano solos, Roedelius has exerted an indelible impact on electronic, experimental, ambient, and wholly undefinable genres of music.
Longtime friends and colleagues, Roedelius and Story have collaborated on many musical projects, including the acclaimed albums Lunz (2003) and Inlandish (2007).