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Jahresthema 2024

Um:Verteilung – Re:Distribution

 

 

Um:Verteilung – Re:Distribution

…   Es gibt Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind.
Es gibt Menschen, die das abstreiten und sagen, dass Gott denen hilft, die sich selbst helfen, und dass die Armen und die Arbeitslosen nur Faulpelze sind, die den übervorsorglichen Staat ausnutzen.
Es gibt Menschen, die nicht bestreiten, dass es Armut gibt, aber nichts davon wissen wollen, weil das alles so schrecklich ist, und überhaupt, was kann man schon tun?
Und dann gibt es Menschen, die helfen.
Dieser Ort (Oregon Food Bank) ist der beeindruckendste Beweis ihrer Existenz, den ich je gesehen habe. Ihrer Existenz, ihrer Effizienz, ihres Einflusses. Dieser Ort gibt menschlicher Güte eine Gestalt.
Natürlich auf die unspirituellste, bescheidenste, alltäglichste, beinahe vulgäre Weise. Durch tausend Dosen mit grünen Bohnen, durch Türme aus Makkaronipackungen, durch Steigen mit frisch geerntetem Gemüse, durch Kühlschränke, die Seitenkapellen gleichen, in denen Fleisch und Käse lagern … durch Hunderte von Kartons mit den obskursten Biernamen darauf, die von den Brauereien gespendet wurden, weil Bierkartons besonders stabil sind und zum Verpacken von Lebensmitteln gut geeignet … durch die Männer und Frauen, Angestellten und geschulten Ehrenamtlichen, die die Maschinerie am Laufen halten, die an den Schreibtischen sitzen, die frischen Waren sortieren und verpacken und die in den Unterrichtsräumen der Food Bank, in ihren Küchen und Gärten Überlebensfertigkeiten vermitteln. Die die Lastautos fahren, die das Essen dorthin transportieren, wo es benötigt wird.

Und das heißt überallhin. Die Food Bank verteilt ihre Waren in allen Countys des Staates Oregon und außerdem in ein County von Washington State. Leute, die auf Unterstützung angewiesen sind, weil sie nicht genug zu essen haben, braucht man nicht lange suchen.
Zunächst einmal besteht überall Bedarf, wo Kinder sind. Viele Schüler in unserem Land bekommen keine drei Mahlzeiten am Tag, und manchmal keine zwei. Viele wissen nicht einmal, ob sie heute überhaupt etwas zu essen bekommen.
Wie viele Kinder? Etwa ein Drittel von ihnen. Ein Kind von dreien.  …

Ursula K. Le Guin (1929 – 2018) war eine der renommiertesten Autorinnen der angloamerikanischen Science Fiction, Verfechterin der Phantastik und starke Feministin

Auszug aus dem Buch: „Keine Zeit verlieren – S. 219 Essay „Notre Dame de la Faim“, Oktober 2011“